Ja, meine lieben Leserinnen und Leser, ihr habt das richtig gelesen. … Aber der Reihe nach.

Neulich las ich „The Church, intensive kinship, and global psychological variation“ von J. F. Schulz et al. in Science, 366 (6466), 2019 … verfluchter Mistscheiszdreck mit geschlossenen Journalen! … (*hust*).
Dieser Artikel war echt urst langweilig zu lesen. Aber was der Artikel zum Inhalt hatte war ganz fantastisch auf mehrere Art und Weise.

Zunaechst wurden verschiedenste historische und psychologische Datenquellen daraufhin untersucht, inwieweit das Vorhandensein der westlichen Kirche (was spaeter die rømisch, katholische Kirche wurde) ueber viele Jahrhunderte zu einigen unserer heutigen Verhaltensweisen fuehrte. DAS ist schon eine krasse Sache an und fuer sich, denn …

[…] research suggests that populations around the globe vary substantially along several psychological dimensions […].

Krass ist das, weil die benøtigten (psychologischen) Daten  ein Albtraum an unerkannten Fehlerquellen und Korrelationen sind. Dies ist dann auch der Grund warum der Artikel so voll langeilig zu lesen ist. Die allermeiste Zeit wird detailliert begruendet wie, welche Analyse warum gemacht wurde um eben diese Korrelationen und Fehler zu erkennen. Das ist URST wichtig damit man die Ergebnisse reproduzieren kann und in den allermeisten wissenschaftlichen Artikeln wird das mitnichten ordentlich gemacht. Aber es ist halt nicht wirklich spannend zu lesen.

Der Artikel konzentriert sich dann auf die Laender welche unter dem Begriff WEIRD …

Western, Educated, Industrialized, Rich, and Democratic …

… zusammengefasst werden kønnen. der Grund dafuer ist, dass dies Menschen in diesen Laendern im globalen Vergleich besonders seltsam sind … tihihi … Wortspielkasse!

Often occupying the extremes of global distributions, Western Europeans and their cultural descendants in North America and Australia tend to be more individualistic, independent, analytically minded, and impersonally prosocial (e.g., trusting of strangers) while revealing less conformity, obedience, in-group loyalty, and nepotism […].

WEIRD Laender wurden sicherlich deshalb als Untersuchungsobjekt herangezogen, weil so krass herausstechende Merkmale leichter zu untersuchen sind.
Dazu noch zwei Kommentare. Erstens, da wir mitten drin und Teil dieser Gesellschaft sind, kommt uns das mitnichten anders, besonders oder komisch vor … ist’s aber! Zweitens, das gilt selbst dann noch, wenn wir aktuelle, furchterregende Entwicklungen bspw. in den USA, Frankreich, (bald nur noch) England, etc. pp. bedenken.

Es wurde dann untersucht, inwieweit …

[…] religions have evolved in ways that shape people’s institutions, social practices, economic outcomes, and psychology […].

Das ist immer noch ein viel zu weites Feld. Man denke nur an die vielen Religionen und wie diese durch sog. Missionierungen, oder ihren Einfluss auf Schulbildung und Politik, die im Zitat erwaehnten Bereiche beeinflussen. Deswegen beschraenkten sich die Autoren darauf, inwiefern …

[…] the Western Catholic Church, primarily through its influence on marriage and family structures during the Middle Ages, had an important impact on psychological variation.

Und das ist auch genau so gemeint! In kurz wird geschaut, wie lange die westliche Kirche in bestimmten Laendern aktiv war und wie sehr dies die Psychology der Menschen bis heute beeinflusst. Und die historischen Daten enden mit der Reformation, also dem Ende des Mittelalters, waehrend die psychologischen Daten natuerlicherweise aus unserer Zeit stammen. Krass wa!

Dabei sind drei Einsichten besonders wichtig. Zunaechst ist da die Tatsache, dass gesellschaftliche Institutionen (Politik, Handel, Schule, Krankenpflege etc. pp.) welche auf der „Verwandtschaft“ (im genetischen Sinne) beruhen, die fundamentalsten aller menschlichen Instituationen sind. Das ist so wichtig, denn diese …

[…] have long been the primary framework for organizing social life in most societies […].

Genauer ist darunter das Folgende zu verstehen:

[t]hese institutions are composed of culturally transmitted norms that influence a broad range of social relationships by endowing individuals with sets of obligations and privileges with respect to their communities […].

Ein ganz konkretes Beispiel waeren bspw. das Verheiraten mit Cousinen, damit Geld und Macht in der Familie bleiben. Oder anders:

By constructing denser, tighter, and more interdependent social networks, these kin-based institutions intensified ingroup loyalty, conformity, obedience to elders, and solidarity.

Dies wiederum …

[…] dramatically restructured people’s social environments […]

… und das soziale Habitat hat natuerlich eine Rueckkopplungsschleife auf die Psyche der Mitglieder dieses Habitats. Und dies ist dann auch schon die zweite Einsicht, naemlich inwiefern …

[…] aspects of our cognition, emotions, perceptions, thinking styles, and motivations adapt […] to the normative demands, reputational incentives, and values of the interdependent social networks threaded together by kin-based institutions […].

Krass wa! Jedes Einzelne der hier aufgezaehlten Wørter (bzw. den dahinter stehenden Interessengebieten) kønnte vermutlich den Stoff fuer mehrere Doktorarbeiten liefern. Dieser „wahnwitzige“ Versuch all dies unter einen Hut zu bringen ist uebrigens einer der Gruende, warum ich den Artikel so spannend fand … obwohl der Text selbst langweilig zu lesen war.

Mit Bezug auf Ersterem bedeutet dies, dass …

[…] within intensive kin-based institutions, people’s psychological processes adapt to the collectivistic demands and the dense social networks in which they are enmeshed […].

Und das fuehrt dann zu psychologischen Merkmalen die kontraer zu denjenigen sind welche oben als Erkennungsmerkmal der Menschen in WEIRD Laendern herausgestellt wurden:

[t]hese [kin-ship based] institutions, thus, incentivize the cultivation of greater conformity, obedience, nepotism, deference to elders, holisticr elational awareness, and in-group loyalty but discourage individualism, independence, and
analytical thinking.

Und der Grund dafuer ist die interpersonelle Einbettung eines jeden Individuums, denn die Adaptierung der Psyche an diesen Umstand …

[…] reduces people’s inclinations toward impartiality, universal (nonrelational) moral principles, and impersonal trust, fairness, and cooperation; these institutions instead foster a contextually sensitive morality rooted in in-group loyalty.

Die dritte Einsicht ist dann der Einfluss von Religionen auf verwandschaftsbasierte gesellschaftliche Institutionen. In Persien bspw. …

[…] Zoroastrians glorified the marriage of close relatives, including siblings, and encouraged widespread cousin marriage.

Der Islam …

[…] curbed polygynous marriage (limiting a man to no more than four wives) but also adopted inheritance customs that promoted a nearly unique form of cousin marriage in which a daughter marries her father’s brother’s son […].

Und hier kommt dann die westliche Kirche ins Spiel:

[b]eginning in Late Antiquity, the branch of Christianity that eventually evolved into the Roman Catholic Church […] systematically undermined Europe’s intensive kin-based institutions through a combination of religious prohibitions and prescriptions […].

Haeh? … Naja, ganz konkret bedeutet dieser Satz, dass die westliche Kirche all das verboten hat, auf dem die gesellschaftlichen Institutionen der Kulturen des antiken Europas (und anderer Agrargesellschaften der damaligen Zeit) beruhten:

[…] patrilineal clans, kindreds, cousin marriage, polygyny, ancestor worship, and corporate ownership […].

Und hier wird das _westliche_ ganz wichtig, denn …

[…] the branch of Christianity based in Constantinople that eventually evolved into the Orthodox Church […] never endorsed the Western Church’s broad taboos on cousin marriage, was slow to adopt many policies, and was unenthusiastic about enforcement.

Die Analyse der konkreten Daten legt dann das Folgende dar. Je laenger eine Gesellschaft unter dem Einfluss der westlichen Kirche war, desto offener, selbststaendiger, freiheitsliebender, etc. pp. sind die Menschen heute. Bzw. anders herum. Je kuerzer der Einfluss der westlichen Kirche war, desto mehr Angst haben heute die Menschen in diesen Regionen vor Fremden und Neuem und desto mehr folgen sie Authoritaetsfiguren.

Und das interessante ist der lineare Zusammenhang. Ein paar Jahrhunderte mehr mit dem was spaeter dann die katholische Kirche wurde und desto besser sind die Menschen. Und ich sage hier bewusst besser, denn aus unserem meinem eigenen Bezugsrahmen werte ich die obigen Eigenschaften als Gut.

Im Konkreten ist selbstverstaendlich zu bedenken, dass es sich hierbei um soziale/historische/psychologische Daten handelt und diese „wackeln“ natuerlicherweise ziemlich dolle um die Trendlinie. Wenn man sich nur ein Land oder nur eine Person anschaut, dann muss man den Einzelfall separat bewerten. Aber in der Masse ist der Trend ganz klar zu sehen!

Ich fasse all dies kurz zusammen: die Menschheit hatte sich so entwickelt, dass die Institutionen ihrer Gesellschaften (vor allem) auf Verwandtschaftsverhaeltnissen beruhten. Dies beeinflusst(e nachhaltig) die Psyche der Menschen in diesen Gesellschaften. Dann kam die Religion die wir heute „katholische Kirche“ nennen und hat das Fundament dieser Institutionen — das Verheiraten (mehr oder minder) naher Verwandter — verboten. Und deswegen sind wir so individuelle, aufgeschlossene, selbststaendig denkende, freiheitsliebende Menschen!

Ich schreibe jetzt mal meine Reaktion: ACH … DU … FUCKING (!) … MEINE … FRESSE! Ausgerechnet (!) die katholische (!) Kirche! … NICHT die Reformation! Nein, nein! Die katholische (!) Kirche ist der Grund warum die Gesellschaft in der ich lebe (im Vergleich und im Allgemeinen) so moderne Vorstellungen hat!

DAS war mal ’ne krasse Erkenntnis. Aber wenn ich mal drueber Nachdenke, dann passt das genau hiermit zusammen.

Und das was daraus folgt ist ganz ganz super dolle wichtig und (leider?) total postmodern. Ich druecke es polemisch aus:

1.: der Islam gehørt zur westlichen Kultur, eben weil unsere Kultur intrinsisch so offen ist und intrinsisch andere Sachen aufnimmt!
2.: der Islam gehørt nicht zur westlichen Kultur, eben weil er das was unsere Kultur macht intrinsisch NICHT macht.

Das ist Beides nicht falsch und Beides bekommen wir nicht unter einen Hut. Nun kønnte man ja denken, dass dies ganz furchtbar ist, und dass nationale Idioten das als „wissenschaftliche Grundlage“ fuer ihren Quatsch hernehmen kønnten. Aber nein, aber nein, es wird naemlich noch besser. Denn diese wissenschaftliche Grundlage zeigt ja ganz eindeutig, dass die (christlich, katholisch) westliche Lebensweise FUNDAMENTAL durch Offenheit etc. gepraegt ist. Somit sind besagte Idioten mit ihren abstrusen Weltvorstellungen dem Islam naeher als ihren den Kulturen die sie fuer ihre „Eigenen“ halten! Mit uns „guten Christen“ und unseren ueber tausendjaehrigen Traditionen haben die also ueberhaupt nichts zu tun!

Science! It works!

Zum Abschluss noch dies: wenn man mal drueber nachdenkt, dann bedeutet das vermutlich auch, dass diese guten Eigenschaften auch genetische Ursachen haben. Dass das also mitnichten alles nur Erziehung ist. Denn Leute die in der (damals) neuen Gesellschaft ohne verwandtschaftsbasierte Institutionen besser klargekommen sind, waren erfolgreicher und haben sich vermutlich auch mehr fortgepflanzt. Und das ist natuerlich super, denn es bedeutet, dass uns Offenheit und so „im Blute“ liegt und auf laengere Sicht nicht ausgetrieben werden kann. Das macht Mut fuer die weite Zukunft :)
Ich denke aber NICHT, dass man das nachweisen kann. Das ist mit Sicherheit nicht nur ein einziges Gen und spielt zusammen mit tausend anderen Dingen, darunter auch die jeweils gegebene (regionale) Gesellschaft und andere soziale und gesellschaftliche Umstaende. Aber spannend ist das trotzdem :)

Ach so! Katholik werde ich deswegen trotzdem nicht :)

Leave a Reply