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Da sah ich doch vor einiger Zeit auf dem Titel der hiesigen taeglichen Wirtschaftzeitung diese Schlagzeile:

Betalte skatt med glede

„Bezahlte 762 Steuermillionen – mit Freude.“

Und der Chef und Besitzer des Konzerns meint, dass das absolut in Ordnung ist.

Schon toll, diese Leute hier in Norwegen, nicht wahr.

Das Folgende wurde bereits 2010 geschrieben und ich habe das selber auch nur am Rande mitbekommen. Es ist hauptsaechlich die Wiedergabe von Aussagen einer Person welche regelmaeszig die lokale Zeitung liest (und wie wir wissen steht in den norwegischen Zeitungen ja immer alles haarklein).

Die vormalige, private und langjaehrige Busgesellschaft „team-traffikk“ hatte eine Monopolstellung in Trondheim. Ich selber fand den Busservice OK, aber der Rest der Trondheimer fand das nicht. Jahrelang nicht. Also sagte irgendwann mal ein Stadtrat: „So nicht! Entweder ihr macht das ordentlich bis zum <Datum> oder wir werden Konsequenzen daraus ziehen.“

Nun ja, team-traffikk machte wohl genau gar nichts um den Zustand zu verbessern. Kennt man ja so vom Kapitalismus; schoene Worte sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Aber hier im schoenen Norwegen fuehlen sich unsere Volksvertreter tatsaechlich auch noch als eben solche und zogen tatsaechlich Konsequenzen.

Die Busroutenlizenzen wurden team-traffikk entzogen und das ganze Bussystem wurde sozusagen verstaatlicht.

OI WEH OI WEH … OH MORDIO UND ZETER! KOMMUNISMUS!!! WIR WERDEN ALLE STØØØRBEN!

Aber hey! Die „Busversorgung“ ist tatsaechlich besser geworden seitdem! Und auch toll ist: die Preise fuer die Monatstickets sind gesunken! Und zwar nicht nur marginal sondern um ca. 15-20 Prozent! Da bezahle ich doch gerne Steuern, wenn das der Gemeinschaft so direkt wieder zugefuehrt wird :). Und das Beste ist: seitdem fahren auch deutlich mehr Leute mit dem Bus. Das ist ja auch gut fuer die Luft in der Stadt und fuer die Umwelt im Allgemeinen und sowieso. Und deswegen trauen sich die verantwortlichen Parteien hier auch Werbung mit den Beschluessen zu machen die sie durchgesetzt haben:

„Niedrigere Preise und mehr Busabgaenge haben zu zusaetzlichen 8000 Reisenden pro Tag gefuehrt – Arbeiderpartei – Wir uebernehmen die Verantwortung fuer ein besseres Bussangebot.“

Politische Parteien die oeffentlich Verantwortung uebernehmen? Ich kann mich nicht erinnern, wann ich DAS das letzte Mal in Dtschl. gehoert habe. (Anm. 2013: und weise mich jetzt blosz keiner auf den offensichtlichen Fehler hin!)

Ich sollte der Fairness wegen erwaehnen, dass die Lizenzen nach dem Entzug wieder oeffentlich ausgeschrieben wurden und mehrere private Busgesellschaften (darunter auch team-traffikk) einige Strecken uebernommen haben (sicherlich die Profitabelsten).

Wie Dienstreisen verguetet werden muessen, ist in Norwegen ziemlich genau geregelt. Deswegen stellt die Regierung Software zur Verfuegung, die jedem Buerger ausrechnet, wie viel „Reisegeld“ er mindestens bekommen muss.

Und was lesen da meine staunenden Augen:

Regjeringen ønsker å stimulere til en delingskultur i offentlig sektor, og til mer bruk av fri programvare. Kildekoden til reiseregningsprogrammet legges derfor ut til fri benyttelse, i første omgang under den frie programvarelisensen BSD.

Grobe Uebersetzung:

Die Regierung møchte eine „Kultur die teilt“ und mehr Benutzung freier (wie in Meinungsfreiheit, NICHT wie in freibier) Software im øffentlichen Sektor stimulieren. Der Quellcode des Reiserechnungsprogrammes ist deswegen offen gelegt zur freien Benutzung, zunaechst unter der freien BSD-Softwarelizenz.

Jaja, BSD-Lizenz vs. GPL. Darum geht es gerade gar nicht, vielmehr geht es darum, dass ich es liebe, dieses Norwegen.

.oO(Nun hab ich ja gar keine andere Wahl mehr, als Norweger zu werden.)

Auch wenn ich mich etwas verzettelte, ist, denke ich, in dem Artikel von neulich klar geworden, dass das Dogma des 8-Stunden Arbeitstages nicht unreflektiert hingenommen werden darf. Dies vor allem nicht, weil es uns allen von demokratisch nicht legitimierten Kraeften (in dem Falle den Kapitalisten) aufgezwaengt wurde.

Nun habe ich vor Kurzem diesen Artikel gelesen.  Wie immer ist der viel schøner als mein Geschrei.

Darin wird ein Buch besprochen, welches aufzeigt, wie mittels der „technischen Revolution“ gerade erfolgreich ein neues Dogma „herangezogen“ wird. Dieses entreiszt noch mehr Zeit aus den Haenden der Menschen um diese in die Kontrolle der demokratisch nicht legitimierten Kraefte zu legen. Das Dogma der „staendigen Erreichbarkeit“. Dies ist natuerlich nur møglich, weil das 8-Stunden-Arbeitstag-Dogma so gut funktioniert. So gut, dass es quasi in „Fleisch und Blut“ der Menschen uebergegangen ist, sodass das gar nicht mehr von „Authoritaeten“ gepredigt werden muss, da dies die Menschen ja laengst selbst machen. Und nun ist eben der naechste Schritt „faellig“.
Ich schreibe das mit Absicht so ein wenig enthuellend, weil ich hoffe, dass ihr, meine lieben Leser, euch den kurzen, verlinkten Artikel selber durchlest.

Dazu dann auch gleich zwei persønlichere Begebenheiten. Dieser abstrakte Mist, das merkt sich doch eh keiner.

Zum Einen hatte ich neulich ein Gespraech mit einem der Chefs. Dort habe ich, als fuer mich in der Zukunft wichtig, heraus gestellt, dass ich mittelfristig nur noch 80% arbeiten møchte.
Arbeiten find ich bescheuert und eine Zeitverschwendung und ich mache das nur, weil ich ja dann doch auch Rechnungen bezahlen muss. Jaja, es gibt auch andere Motivationen um Arbeiten zu gehen, aber so lange ich keine Superidee hab, ist dies bei mir persønlich nicht so.
Dies ist fuer mich ein wichtiger Schritt zu mehr Freiheit. Whoopsie … da war sie wieder.

Zum Zweiten ist man ja die Plakate gewohnt, die auf sog. „Jobbmessen“ aufmerksam machen.
Im akademisch, technischen Bereich ist es dies ja tatsaechlich; eine Messe, auf der man sich ueber potentielle Arbeitgeber informieren kann.
Im nichtakademischen Bereich, hatte ich da in Dtschl. allerdings immer einen anderen Eindruck. Dort schien es eher eine „Fleischbeschau“ zu sein. Damit die Chefs mal gucken kønnen, ob es denn unter den deutlich ueber 100 jungen Menschen, die gern eine Arbeit haben møchten, auch die Eine oder den Einen gibt, der sich genug „selbst optimiert“ hat – vulgo: die- oder derjenige, der „sich Ausbeuten lassen“ als „Selbstverwirklichung mittels (aufgezwungener) Arbeit“ verklaert.
Aber ich schweife ab.
Solche oben erwaehnte Plakate finden sich natuerlich auch hier. Und neulich stiesz ich auf dieses:

Arbeiten und Skitour

Dort wird doch tatsaechlich damit geworben, dass es møglich ist, eine Karriere zu haben und trotzdem bis zu 100 Tage pro Jahr auf Skitour zu verbringen.
Eine interessante Umkehrung des Dogmas der „staendigen Erreichbarkeit“, nicht wahr.

… ist der legitimste, dass man sich etwas Besseres vorstellen kann.“

So zumindest schreibt es der von mir hochgeschaetzte Wortkuenstler Dietmar Dath, in einer seiner zahlreichen, groszartigen, Rezensionen. Die ich ausnahmsweise mal nicht verlinke, da das zu weit vom eigentlichen Thema dieses Beitrages weg fuehren wuerde.

Es tut mir etwas im Herzen weh, dass mein erster Beitrag in dem ich Dietmar erwaehne, eigentlich gar nicht ueber seine (beinahe schon unheimlich) glaubhafte Kunst handelt. Aber es passt so schøn – im Wortsinne. Wie eigentlich alles von Dietmar.

Aber nun zum eigentlichen Grund dieses Artikels.

Lasst euch dafuer doch mal die einleitenden Worte dieses Beitrages auf der Zunge zergehen.

– viele Gruende,
– einleuchtende gar,
– das Bestehende abzulehnen;
– all diese Gruende werden ja so gern mit „love it or leave it“ weg“diskutiert“, aber es gibt da doch eben tatsaechlich einen (aller)legitimsten Grund;
– und der ist, dass man sich (begruendet) doch VERDAMMTE SCHEISSE NOCHMAL was BESSERES vorstellen kann!

Unglaublich! Kann man sowas sagen? So klar, praegnant und einfach. Na klar kann man, ich erwaehnte ja bereits, dass Dietmar ein begnadeter Kuenstler mit Worten ist, aber _darf_ man sowas ueberhaupt sagen?
Ich bitte um Kommentare.

Die Jahre bevor ich Dtschl. verliesz, versuchte ich mein Umfeld auf die Ekel erregenden Missstaende in Dtschl. aufmerksam zu machen. Teilweise mit Erfolg, in den allermeisten Faellen mit schreiendem Misserfolg. Ich waehlte das „drauf aufmerksam machen“ als mein Mittel, da mir andere Methoden (im wesentlichen politisch oder lobbyistisch wirksam sein, oder eben die Kunst) nicht zugaenglich waren/sind. Ich gebe zu, dass „meine Art“ nicht unwesentlich zu den Misserfolgen beigetragen hat. Aber auch „meine Art“ ist keine Entschuldigung dafuer, dass die Leute sich nicht weiterinformieren, weil sie „es ja nicht mehr høren wollen“.
Die allgemeine Reaktion war, wie oben bereits geschrieben: „Wie kannst du so schlecht reden ueber mein geliebtes Dtschl. Wenn es dir nicht passt, dann geh doch woanders hin.“ Auch wenn das nur in den seltensten Faellen so direkt ausgesprochen wurde.
Dies hab ich gemacht. Kurioserweise, ist die Reaktion jetzt eher: „Na DU brauchst ja mein geliebtes Dtschl. nicht schlecht machen, DU bist ja abgehauen – Verraeter! – Haettest ja was gegen tun kønnen“ – Zirkelschluss.

Aber da sind wir dann auch bei dem, was das Schreiben dieses Beitrag (und so vieler anderer) motivierte. Das was ich so oft (und so direkt) sage: „Ich sehe jeden Tag, dass es eben auch anders laufen kann“.

Aber wer bin denn schon ich? Nur der allen auf die Nerven gehende Schreihals.
Ich versteh das ja auch (teilweise). Biogemuese kaufen, das muss doch reichen um die Welt zu retten. Da muss man nicht auch noch auf das Auto verzichten. Ich selber fliege schlieszlich oft genug, um mein Geschwaetz von der Rettung der Eisbaeren so eindeutig als Heuchelei erkennen zu lassen. Und alle haben jetzt erstmal noch die Wut darueber im Kopf, dass ich ueber irrelevante Ernaehrungsweisen herziehe, anstatt zu sehen, dass ich mich von der Scheinheiligkeit ueberhaupt nicht ausschliesze; mich also mitnichten erhøhen will. So ist das halt – „meine Art“ – kommt sowieso immer nur das an, was in die geliebten Dogmen passt, nicht wahr.
Aber genug der Ausfluege in die beliebte (da scheinbar (!) so eindeutige) Klimadebatte. Das kønnte man auch auf die sozialen Verhaeltnisse anwenden. Was interessiert mich Griechenland? Oder der Bettler. Auszer natuerlich, wenn ich mir gerade was Teures gekauft habe. Dann ist das schlechte Gewissen doch zu grosz und ich schmeisz mal ’n Euro in die Muetze. Ach was sag ich! ZWEI Euro gar!

Etwas Besseres. Das kann man ja auch nicht messen. Oder vielleicht doch?
Dieser Artikel (via)  stellt eine Studie zur sozialen Mobilitaet vor. Oder anders gesagt, ob unsere Kinder es mal genauso gut oder scheisse wie wir haben werden, blosz weil sie das Glueck (oder Pech) hatten, in unsere (erfolgreiche oder arme) Familie geboren worden zu sein. Interessant uebrigens, dass ich „arm“ hier im Zusammenhang mit „nicht erfolgreich“ benutze, nicht wahr. Aber huch, hab ich damit nicht eigentlich nur das wiedergegeben, was die Propaganda schaffte, als (unbewusstes) Denkmuster zu etablieren? In unser aller Koepfe. Als scheinbar vøllig normal und nicht zu hinterfragend. Das was ich manchmal so unbewusst denke, ekelt mich an. Also immer an den Pranger mit mir. In der Hoffnung, dass mir in Zukunft immer weniger dieser scheuszlichen Gedanken unerkannt (und damit unreflektiert) bleiben.

Wie immer wird in dem Artikel aufgezeigt, dass der norwegische Weg so aussieht, als ob er „funktioniert“. Und JA, das Wort „immer“ ist durchaus angebracht, denn in all den Jahren bin ich auf noch kein einziges, vernuenftiges Argument getroffen, welches zeigte, dass Dtschl. besser ist als Norwegen. Und dies gilt selbst im Vergleich mit unserem schwedischen Nachbarn. Die werden ja so gern ueber den gruenen Klee gelobt.

[…] Norway, where only 2% of the – already low – inequality can be explained by accidents of birth.

Oder anders, nur zwei von hundert Kindern werden es nicht besser haben als ihre Eltern, weil ihre Eltern arm waren. In absoluten Zahlen, sind das immer noch viel zu viele Menschen, aber doch zeigt diese Zahl, dass dieses System funktioniert.
In Deutchland hingegen ist die Zahl zehn (!) Mal so hoch.
Oder anders. Zwanzig (!) von hundert Kindern die nicht studieren, haetten durchaus studieren kønnen (!), hatten aber das Pech, dass ihre Eltern arm sind.
Um das ganze mal persønlich etwas fassbarer zu machen: die Chance, dass ihr welche von diesen Zwanzig kennt, ist nicht gerade gering. Nur reden sie darueber nicht. Denn „arm“ ist ja gleich „Verlierer“ und eben auch „fauler Schmarotzer“.
Die Chance, dass ich einen der zwei hier in Norwegen kenne, ist hingegen eher gering (selbst, wenn ich mein ganzes Leben hier gewohnt haette).

Und wage hier jetzt bitte keiner zu behaupten, dass  das doch an dem Ølgeld liegt, welches uns jeden Monat auf unsere Konten ueberwiesen wird.
Jedenfalls nicht, ohne gleich den Link zu unabhaengigen Studien die genau dies zeigem, mitzuliefern.
So wie ich es mache. Ich klage Dtschl. an und liefere Beweise. Wer auf diese Weise Norwegen anklagt, hat auch die Beweise zu liefern. So funktioniert das in einem Rechtsstaat, warum sollten aehnliche Prinzipien nicht auch in einer Diskussion angewendet werden.
Und ja, meine Intention soll sein, dem ueblichen Argument Nr. 1 gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Wieauchimmer, ich kann mich nur wiederholen: ich kann mir nicht nur vorstellen, wie es besser sein kønnte, sondern ich erlebe auch jeden Tag, wie es anders _ist_.

… … …

Beim nochmal durchlesen dieses Artikels faellt mir auf, dass ich das eigentlich alles gar nicht so schreiben wollte. Um Dietmar nicht Unrecht zu tun. Diese dreckige Anhaeufung von Wørtern. Dieser plumpe Zynismus. Und dann auch noch Dietmars guten Namen damit irgendwie in Zusammenhang gebracht. Gruselig.
Ich wollte urspruenglich nur Dietmar zitieren und dann den Link folgen lassen. Hørt sich doch gut an, nicht wahr.
Aber in meiner Ohnmacht, kann ich all diesem menschenverachtenden Scheisz in Dtsch. nicht mehr anders begegnen. Dies ist sehr sehr traurig, aber ich bin eben kein Kuenstler, Soziologe oder politiker und kann somit auch nicht zur Løsung des Problems beitragen.

… kønnen mich die Norweger immer noch ueberraschen.

Neulich musste ich mir hitzeresistente Schutzkleidung kaufen. Dies machte ich bei einem Laden in der Naehe der Uni. Eine nette Dame half mir.

Privat wurde ich auf etwas aufmerksam, was mir behilflich sein kønnte den Helm meiner Sandtrooperruestung an Ort und Stelle zu halten – ein sog. „Hard Hat Liner“ (keine Ahnung, wie das auf dtsch. heiszt). Sie fragte wofuer ich den brauche (sie wollte mir etwas anderes empfehlen) und so erzaehlte ich, dass ich eine Star Wars Ruestung baue. Um nicht als „komischer Typ, mal lieber aufpassen, dass der nix klaut“ zu gelten, erzaehlte ich auch, dass das eine Wohltaetigkeitsorganisation ist und dass wir hier in Trondheim Geld fuer die Kinderabteilung des Krankenhauses sammeln.

Sie wusste den Preis nicht und nahm den Hard Hat Liner mit zur Kasse um nachzuschauen. Ich bezahle die Schutzausruestung (wegen der ich ja eigentlich dort hingefahren bin) und sie meinte zu mir, dass ich den Hard Hat Liner einfach mitnehmen kann und nicht bezahlen brauche, denn es ist ja fuer einen guten Zweck.

Und hier ist das gute Stueck:

Schon verblueffend dieses Norweger, nicht wahr?

Als Gedanke dazu auch noch: wenn jemand anfaengt ueber Anarchimsus oder Sozialismus oder Kommunismus etc. zu erzaehlen (also die richtigen Ideen dahinter, nicht das, was die ungebildeten und indoktrinierten Massen als dieses ansehen), dann kommt als „stichhaltiges Hauptargument“ immer: „na sind ja alles ganz schøne Ideen, aber die ziehen die Natur der Menschen nicht in Betracht; Menschen sind naemlich nicht so gut zueinander“. Diesen Punkt finde ich dumm und reichlich weit an der Realitaet vorbei. Und das liegt sicherlich zu groszen Teilen daran, dass ich in dieser tollen norwegischen Gesellschaft leben darf.

Vor einigen Tagen unterschrieb ich meinen neuen Arbeitsvertrag und dabei habe ich erfahren, wieviel Geld denen meine Arbeitskraft wert ist. Das Einstiegsgehalt liegt 20% høher als mein jetziges Gehalt (nach mehreren Gehaltserhøhungnen)! Und das obwohl ich denen gesagt habe, dass ich nur nicht weniger verdienen will als jetzt.

Nun ja … mir kommt grad in den Sinn, dass ich møglicherweise „nach Tarif“ bezahlt werde … habe davon auch schonmal in Dtschl. gehørt … aber wer bezahlt denn „nach Tarif“ in eurem Lande? … Und kommt mir jetzt nicht mit statistisch irrelevanten Randgruppen!

Wieauchimmer, trotz der bald vier Jahre die ich nun hier schon wohne und arbeite, ueberrascht es mich immer noch, wie gut die Bedingungen fuer die Leute die ihre Arbeitskraft zur Verfuegung stellen hier sind.

Wir wir (das koenigliche) und ihr alle ja wisst, bin ich von einem Land, in dem der Bolschewismus mit dem Kommunismus verwechselt wird und im permanenten Schreckzustand der durch diese Verwechslung entsteht alles gleich noch mit dem Sozialismus vermischt wird, damit man nur ein einziges Schreckgespenstwort braucht welches unreflektiert immer und immer wieder gebraucht werden kann, wenn „den Leuten“ die Argumente ausgehen, ins schoene Norwegen gezogen. Und wie ihr alle wisst war ein schwerwiegender Grund, dass ich dieses unreflektierte Schlechtmachen aller sog. linken bzw. liberalen Gedanken mindestens scheinheilig, gewiss dumm und einfach nur noch zum kotzen fand.

Hier in Norwegen ist das etwas anders.

Es gibt die sozialistischen Parteien und es gibt die buergerlichen Parteien. Und „sozialistisch“ hat hier vor allem eben den sozialen Hintergrund, ohne diese extremen, unreflektierten und unberechtigten negativen Konnotationen.

Und nun komme ich im Weiteren zu dem bereits angekuendigtem Arbeitsprogramm der Partei die ich waehlte.

Ich waehlte aus voller Ueberzeugung und mit Freude jene Partei die so rot ist, dass sie sich auch so nennen – Rødt.

Rødt ist nur sehr schlecht mit Die Linke in Dtschl. zu vergleichen! Waehrend letztere Partei ja eigentlich sowas wie die SPD vor Schroeder ist, in den allermeisten ihrer Forderungen (also mitnichten links sondern eigentlich die einzige uebriggebliebene Partei der sog. „Mitte“ ist), ist Rødt tatsaechlich links. Das sieht man auch an den Antworten auf die Frage der Zeitung „Klassekampen“ wie die Waehler bestimmter Parteien sich denn platzieren wuerden im politischen Spektrum. Waehrend die Waehler der meisten Parteien sich irgendwie nicht so richtig entscheiden koennen und alle mehr oder weniger irgendwie zwischen Links, Mitte und Rechts rumeieren sind die Rødt-Waehler ueberzeugte Linke wie diese Visualisierung besagter Umfrage zeigt (rot = links, gruen = Mitte, blau = rechts):

Jup, die mit dem Stern sind Rødt … und Sterne … da steh ich ganz besonders drauf (wie alle wissen sollten die den Abschluss meiner Dissertation gelesen haben).

Trotz meiner (politischen) Sozialisierung in Dtschl. in dem alles Linke und/oder Rote ja grundsaetzlich als schlecht hingestellt wird, waehlte ich also (die jeweiligen Bezugssysteme in Betracht ziehend kann man sogar sagen: zum wiederholten Male) ganz weit links.

„Natuerlich“ war diese Entscheidung aber auch fuer mich nicht. Vor allem besagter Sozialisierung wegen, denn niemand moechte ja als „das sozialistische Schreckgespenst“ dastehen in Diskussionen mit Deutschen. Trotz schon immer vorhandener latenter Tendenzen zu Rødt zog ich es deswegen ernsthaft in Betracht eine nicht ganz so linke Partei zu waehlen. Insbesondere das SV-Motto und Wahlprogramm fand ich sehr ansprechend. (SV steht im uebrigen fuer „sosialistisk venstre“ – die sozialistische Linke also … wie gesagt … ein ganz normaler Begriff hier in Norwegen.) Aber dann fing ich an das viele Seiten dicke Arbeitsprogramm von Rødt zu lesen. Bereits nach nur wenigen Abschnitten (so ungefaehr auf Seite 2 wenn ich micht richtig erinnere) wurde mir sehr bewusst, dass die GENAU das wollen, was ich auch immer „predige“ (JA, predige! Denn bei allem was ich sage zieht ja nie einer irgendwie ernsthaft in Betracht, dass das die Wahrheit sein koennte – wie beim Prediger in der Kirche eben). Da wurde mir (mal wieder) bewusst, dass ich aus voller Ueberzeugung LINKS bin. Nach allem was ich weisz, bin ich sogar der am weitesten politisch links Stehende in meinem sozialen Umfeld (der auch dazu steht). Nach dieser (wiederholten) Epiphanie (damals bei der Wahlentscheidung fuer Die Linke zur letzten Bundestagswahl hatte ich die erste „Offenbarung“) entschloss ich mich dann sofort Rødt zu waehle – und tat dies auch.

Damit wuerde ich die mir von der dtsch. Gesellschaft aufgezwungene (politische) Sozialisierung gluecklicherweise als (im Nachhinein) gescheitert ansehen.

Wer kennt das nicht: man kommt aus einem fremden anderen Land per Flugzeug, die drei schweren Koffer kommen gerade an und am besten waere jetzt ein Wagen wo man die rauflegen kann. Um diese Wagen laengere Strecken bewegen zu koennen, braucht man ueblicherweise eine Muenze die besondere Bedingungen erfuellen muss o.ae. Wenn man nun keine derartige Muenze hat, dann hat man Pech gehabt und man muss die schweren Koffer selber tragen. Serviceorientierte Unternehmen (vulgo: Flughafenbetreibergesellschaft) wuerden nun fuer alle Kunden (vulgo: Passagiere; die ja (indirekt) Flughafengebuehren bezahlen muessen) entweder diese Wagen einfach so zur Verfuegung stellen, oder diese Loesung realisieren (gefunden am Flughafen Værnes nahe Trondheim):

Dies ist sogar noch eine gute (vor allen Dingen nicht nervende) Werbeflaeche fuer das Unternehmen.

Und doppelt schoen kann man hier auch gleich wieder erkennen, wie diese Gesellschaft funktioniert … durch Vertrauen :).

Viele in Dtschl. (meistens natuerlich Maenner) finden die „Gleichberechtigung in der Sprache“ (das beruehmte „Innen“-Problem) albern und sinnlos. Dabei geben eben diese „viele“ gern an ein paar wenige (oftmals die selben) Beispiele, die in keinster Weise die Gesamtheit beschreiben , um ihren, durch patriarchalische Sozialisierung entstandenen und niemals hinterfragten, Standpunkt zu unterstuetzen.

Ja, oftmal ist das mit den „Innen“ albern, noch oefter nervig, aber es aendert nichts daran, dass es insgesamt eine gute Sache ist, denn es weist auf ein klaffendes Problem hin, dass in dieser Gesellschaft nunmal besteht. Deswegen finde ich dass diese politische Entscheidung insgesamt eine wichtige und richtige Entscheidung war. Unterstuetzt wird meine Meinung durch zahlreiche Forschungsergebnisse im Bereich der Soziologie, Linguisitk, Genderforschung etc. (Warum sparen sich diese „Vielen“ eigentlich nicht das sinnlose Geschimpfe und nehmen ueberall (wo es sinnvoll ist natuerlich nur) einfach nur noch die weibliche Form und weisen am Anfang eines jeden geschriebenen Textes darauf hin, dass damit auch die Maenner gemeint sind. Mal ganz davon abgsehen, dass dies eigentlich eine total logische Entwicklung sein sollte, waeren die Reaktionen darauf sicherlich ein groszer Spasz. Wieauchimmer …

Norwegen nun ist ein Staat mit einer der striktesten Gesetzgebung bezueglich dieses Problems und ich werde hier immer wieder darin bestaerkt, dass meine oben getaetigte Meinung richtig ist, denn ich sehe an so vielen Beispielen, dass es funktioniert und dass es richtig ist, dass sich die Politik darum gekuemmert hat, dass die Gesellschaft eine bessere wird. Ein paar dieser Beispiele moechte ich hier angeben (ohne mich dabei auf die Sprache zu beschraenken und vermutlich).

– Das oeffentlich auffaelligste Ergebnis all dieser Anstrengung ist der Papaschaftsurlaub. In keinem anderen Land der Welt hab ich so viele Vaeter gesehen, die ihr Kind, gluecklich aussehend, im Kinderwagen durch die Gegend schieben, oder vom Kindergarten abholen etc. Am tollsten (fuer die Gesellschaft) ist, dass es allgemein anerkannt ist, dass sich auch der Papa um das Kind kuemmert … nicht nur im Notfall oder wenn die Mutter mal keine Zeit hat, sondern dass der Papa auch mal einfach mitten in der Woche einen Tag frei nimmt, um mit zum Kindergartenskitag zu gehen. Insgesamt ist es fuer die Gleichberechtigung so unheimlich wichtig zu erkennen, dass Kinder in allen Altersstufe einfach zur Gesellschaft gehoeren (und nicht einfach nur die sind, die spaeter mal die Rechnung (vulgo Rente oder Schuldenberg) bezhalen) und das man nunmal Personen braucht (allermeistens die Eltern) die sich darum kuemmern, dass aus eben diesen Kindern gute (was immer das auch bedeuten mag, Maul halten und alles abnicken jedenfalls nicht) Buerger der Gesellschaft werden. Dies schlieszt auch ein, dass man ein Elternteil, welches keinen Babysitter finden kann (oder will) nicht ausschlieszt von Meetings und anderen beruflichen und gesellschaftlichen Moeglichkeiten der Teilhabe. Eine der Moeglichkeiten ist, dass das Kind eben mitkommt zum Meeting (was aber natuerlich auch nicht immer eine praktikable Loesung ist).

Zur Zeit wird diskutiert, dass der Papaschaftsurlaub ausgeweitet werden soll, um Muetter noch besser ins Arbeitsleben integrieren zu koennen.

Und wehe jetzt kommt hier einer (oder eine :P) mit dem scheinheiligen „Aber in Dtschl. gibt es doch das ach so tolle Elterngeld“ Argument. Jedenfalls nicht ohne auch gleich eine glaubhafte (!) Quelle fuer diese Behauptung anzugeben.

– Wo wir gerade bei Kindern waren; Kindergaertner sind hier auch total normal. Ein Mann kann hier auch derartige Aufgaben uebernehmen ohne um seine „Maennlichkeit“ fuerchten zu muessen und vor allem ohne dabei schief angeguckt zu werden, was er denn bei kleinen Kindern zu suchen hat!

– Desweiteren gibt es hier die gesetzliche Regelung, dass Firmen ab einer bestimmten Groesze im Vorstand Vorstand 50 Prozent Frauen haben muessen. Und auch dies funktioniert, wie ich gestern am Beispiel der groeszten (mehr oder minder) privaten Gorschungsgesellschaft Norwegens (wenn nicht gar Skandinaviens) sehen konnte. Bei Sintef innd ueber 65 Prozent der Mitglieder des Vorstandes Frauen.

– Und da wir gerade bei der Wissenschaft waren, geb ich gleich noch ein Beispiel dazu. Wenn man hier durch die Hallen der Fakultaet fuer Naturwissenschaften wandert, ssieht man unheimliche viele Studentinnen. Ich denke, dass dies einfach an weiblichen „Beispielen“ liegt auszerhalb der sogenannten „typisch weiblichen“ Berufsfelder. Desweiteren habe ich auch noch an keiner anderen Uni so viele weibliche Professoren innerhalb der Naturwissenschaften (ohne Medizin) gesehen. Also auch hier funktioniert die gesetzliche Regelung und wirkt auch bis in die Gesellschaft.

– Als letztes moechte ich gern zurueck zum „Sprachproblem“ kommen, denn wie man spricht beeinflusst unheimlich stark unser Verhalten und das Verhalten anderer. Ueblicherweise bin ich immer der einzige, der, wenn er das Geschlecht einer Person nicht weisz, „er oder sie“ bzw. „ihm oder ihr“ sagt. Fuer Deutsche hoert sich das total albern an, ist es aber nicht (siehe oben). Gestern im Meeting ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass auch andere Personen dies so sagen (was der Grund fuer diesen Eintrag war). „He or she“ oder „his or her“ anstatt nur (bspw.) „if the users is new he must …“. Total normal hier im schoenen Norwegen, keiner regt sich deswegen auf weil es keine Ausnahme ist, dass es Frauen in naturwissenschaftlich/technischen Berufen arbeiten.

Schon toll dieses Norwegen … und seine Buerger.