Am 1986-04-26 geschah das bisher am besten dokumentierte (und ich wage auch des am besten verstandene) Kernreaktorunglueck.

Mich duenkt vor fast 10 Jahren stolperte ich zufaellig ueber einen Bericht der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit mit dem Titel: „Der Unfall und die Sicherheit der RBMK-Anlagen„. Bis vor kurzem hatte ich es noch nicht geschafft den zu lesen.

Der Bericht ist zwar bereits von 1996, aber nichtsdestotrotz lesenswert, wenn man sich ganz im Allgemeinen dafuer interessiert. Soweit der beste Beitrag zu diesem Thema, den ich gelesen habe. Verstaendlich und sachlich geschrieben und bisher der einzige Bericht zum Tschernobyl-Reaktor-Unglueck, der nicht diese sonst so oft mitschwingende „westlichen Arroganz“, bzw. „westliche Agenda“ enthaelt.

Wieauchimmer, es geht mir eigentlich gar nicht um diesen Bericht an sich. War er letztlich doch nur der Ideengeber fuer diesen Beitrag.

– Gedankensprung –

Maszgebliche Unfallursachen waren Inkompetenz (dieser Begriff fasst sehr viel zusammen), Missachtung vorhander Sicherheitsregeln, technische Maengel und die Physik. Wer sich fuer Details bzgl. den ersten drei Ursachen interessiert, empfehle ich den obigen Bericht. Hier soll nur einer der physikalischen Gruende weiter diskutiert werden – der positive Dampfblasenkoeffizient.

Was ist das eigentlich und warum ist dieser (so weit ich weisz) die letztliche Ursache fuer die Zerstørung des Reaktorblocks 4 des Tschernobyl-Kraftwerks gewesen?

Wie man bei wikipedia lesen kann ist der Dampfblasenkoeffizient …

… ein Maß für die Veränderung der Reaktivität eines Kernreaktors bei Bildung von [Blasen oder Løchern] im Kühlmittel oder im Moderator.

Und alles was mit Aenderungen der Reaktivitaet zu tun hat, ist wichtig fuer die Sicherheit eines Kernreaktors.

In „westlichen Anlagen“ muss vom technischen Design sichergestellt sein, dass diese Grøsze IMMER negativ ist, in kurz: wenn das Kuehlwasser auslaeuft, muss sich der Reaktor automatisch abschalten.

Bei Anlagen vom RBMK-Typ hingegen ist dieser Koeffizient positiv. Das heiszt also, dass es zu mehr Kernreaktionen kommt, wenn das Wasser auslaeuft. Die geneigte Leserin bzw. der geneigte Leser mag sch selber vorstellen, dass das schnell bøse enden kann.

Warum verhalten sich Anlagen vom RBMK-Typ derart?

Dafuer muss ich etwas weiter ausholen.
Bei einer Urankernspaltung entstehen 2-3 sogenannte „schnelle“ und „langsame“ Neutronen. Nur langsame Neutronen kønnen einen Kern spalten. Die Anzahl der schnellen Neutronen ueberwiegt allerdings und deswegen laeuft eine einmal in Gang gesetzte Kernspalung nur unter zwei Bedingungen weiter:
1.: Es ist genug spaltbares Material vorhanden fuer die wenigen langsamen Neutronen. Dies wird in Atombomben gemacht.
2.: Die schnellen Neutronen werden gebremst, sodass diese dann eine weitere Kernspaltung ausløsen kønnen. Dies nennt man moderieren und dafuer zustaendig ist der bereits weiter oben erwaehnte Moderator.

Als Moderator in Kernspaltungreaktoren kønnen verschiedenste Materialien eingesetzt werden. Wohl am bekanntesten, und mich duenkt auch am gebraeuchlichsten, ist Wasser.

Bei Anlagen vom RBMK-Typ hingegen wird als Moderator Graphit eingesetzt. Das Wasser im Reaktor dient (eigentlich) nur der Kuehlung. Es hat zwar auch eine moderierende Wirkung, diese ist aber klein genug, sodass sie im betrachteten Szenario nicht beachtet werden muss.

Wenn die Leistung eines Reaktors zu nimmt, dann steigt die Temperatur. Das bedeutet, dass das Wasser heiszer wird. Und heiszes Wasser kocht. Es bilden sich also Blasen (deswegen auch „Dampfblasen“-koeffizient).

Wasserdampf hat aber eine deutlich geringere Dichte als fluessiges Wasser. Das bedeutet einerseits, dass wenn Wasser als Moderator eingesetzt wird, dies natuerlich gut ist. Werden bei steigender Reaktorleistung, wenn gleichzeitig das Wasser nicht weiter flieszt, deswegen weniger Neutronen gebremst und die Rate der Kernspaltungen nimmt automatisch ab.

Bei der Explosion des Tschernobyl-Reaktorblocks 4 kommt allerdings eine zweite Eigenschaft des Wassers ins Spiel: es absorbiert Neutronen auf ihrem Weg zum Moderator.

Wenn durch mehr Dampf also weniger Wasser vorhanden ist, dann bedeutet das, dass MEHR Neutronen das Graphit erreichen. Dadurch werden mehr Neutronen gebremst und løsen mehr Kernspaltungen aus. Dadurch steigt die Leistung und damit die Temperatur. Ein Teufelskreis.

Und genau das ist passiert, heute 01:24 vor 29 Jahren, in besagtem Reaktor.

Uebrigens kam es im Tschernobyl-Reaktorblock 4 so weit ich weisz und das verstanden habe, wohl tatsaechlich zu einer Kernexplosion. Waehrend es im Fukushima Daiichi Kernkraftwerk wohl „nur“ zu einer Explosion des angesammelten Wasserstoffs kam.

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