Dies ist eine Frage die mich fast so lange beschaeftigt wie ich mich bewusst (zurueck) erinnern kann.

Nach der Wende war es ganz selbstverstaendlich zu sagen, dass _ich_ ja niemals in die SED eingetreten waere und ganz bestimmt nach Bautzen gekommen waere weil ich mein Maul nicht halten kann. Aber ich realisierte ganz schnell (so schnell wie das als junger Teenager geht), dass das ja arg so klang wie die ganzen Widerstandskaempfer die es pløtzlich ueberall in Dtschl. gab, nachdem der Krieg verloren war.

Um diese Zeit herum fing ich auch an mich ernsthaft mit der Nazizeit zu beschaeftigen. Die bekannten Greueltaten der Nazis gingen (und gehen) mir sehr nahe. Das beinhaltet ja nicht nur die Vernichtungs- und Konzentrationslagern (von denen es ueber 1000 gab!), sondern auch alles was die Menschen auf dem Weg dorthin und alles davor erlebten. Ich kann das einfach nicht verarbeiten. Wieso kønnen Menschen so furchtbar zu anderen Menschen sein? Das hat nichts mit Schuldgefuehlen zu tun, aber im Grunde sehr viel mit der einleitenden Frage.
Zu dieser sehr emotionalen Beschaeftigung mit den Verbrechen der Nazis kam spaeter die etwas reflektiertere Frage, wie das vermutlich gebildetste Volk der Welt (zu der Zeit), dieser Ideologie so schnell verfallen konnte?
Das ist bei genauerer Betrachtung natuerlich nur eine Variation der ersten Frage, aber die Variation ist wichtig liegt doch darin das Wohl und Wehe eines potentiellen Mechanismus (Bildung) um derartige Katastophen in der Zukunft zu verhindern. Diese zweite Frage hat auch (wieder) einen ganz persønlichen Hintergrund. Klammere ich mich doch sehr an meine Bildung und Intelligenz … aber Goebbels war auch studiert (mit Doktorgrad) und somit gebildet; das hilft also im Speziellen nicht. Das macht mir Angst und ich komme zur urspruenglichen Frage zurueck: Wie bøse bin ich eigentlich?
Es ist auch zu bedenken, dass es mglw. keine eindeutige Antwort gibt.

Waehrend ich mich in diesem und dem naechsten Beitrag zwar auf die ersten beiden Teile des Triptychon konzentriere, so komme ich nicht umhin bereits Begriffe und Erkentnisse aus meiner Lektuere von Hannah Arendts Werk einflieszen zu lassen. Das ist aber nicht schlimm, es ist gar gewollt, denn in den naechsten drei Artikeln geht es mir ja darum, die Verknuepfung dieser drei Werke darzustellen.

Egal wieviel ich las und versuchte mich zu informieren — (nicht nur) Schulbuecher, Ausstellungen, Zeitungsartikel, Augenzeugenberichte, Interviews, Analysen, Filme etc. pp. — fand ich keine befriedigenden Antworten auf die obigen Fragen. Waehrend dieses Prozesses (der mitnichten abgeschlossen ist!) lernte ich zwei andere wichtige Dinge.
Erstens, dass dies keine spezifisch „deutsche“ Problematik war, sondern dass es ein Menschheitsproblem ist. Neben den Konzentrationslagern der Nazis trat dabei insbesondere die industrielle Vernichtung sog. „absterbender Klassen“ in sog. „Arbeits“lagern durch die Bolschewiken hervor. Dies deswegen weil es ein anderer (und doch der selbe) Ausdruck der selben Problematik zur selben Zeit war. Im Allgemeinen komme ich darauf zurueck, wenn ich mich naeher zu Hannah Arendts Buch auslasse.
Zweitens, dass im Nachhinein immer nur ein ein paar wenige Personen als „schuldig“ hingestellt wurden. „Der Hitler hat das Volk verfuehrt!“ oder „Der Stalin war’s!“ oder „Die SS war’s!“ oder „ICH habe nur Befehle befolgt damit ich nicht selbst erschossen werde aber (persønliche) Verantwortung trage ich keine!“
Diese Herangehensweise versagt natuerlich eine ehrliche Beschaeftigung mit dem Thema und wie man selbst, trotz des generationenspannenden Abstands, darin verortet ist. Wobei ich auch zugeben muss, dass es auch ehrlichere Darstellungen gibt. Ein Beispiel sind die Stolpersteine, ein anderes Beispiel waere der Film „Schindlers Liste“ und mir fallen diffus auch einige Teile von Ausstellungen, Artikeln, Interviews etc. pp. ein die sich nicht unter dem „Wer anders hat Schuld“ mit dem allgemeinen Thema beschaeftigen.

Der letzte Punkt scheint doch „ganz klar“ zu sein, ist es aber nicht! Denn man selber zaehlt sich automatisch zu den „guten Menschen“. Und wenn man von klein auf mit dem herrschenden Narrativ („Ich war’s nicht!“) sozialisiert wird, dann ist es ganz schwer daraus aus zu brechen. Erst ueber einen laengeren Zeitraum, indem man Kruemel anderer Sichtweisen mal hier, mal dort liest, hørt oder sieht, merkt man, dass mit dem herrschenden Narrativ irgendwas fundamental nicht richtig ist.

Aber ich versuche hier eine persønliche Entwicklung nachzuzeichnen, die mich nun seit bald drei Jahrzehnten beschaeftigt. Das geht nicht, denn ich finde mitnichten alle Quellen die mich beeinflusst haben.
Deswegen waehlte ich das Tritpychon von Buechern um dies zumindest etwas deutlich zu machen.

Solschenizyn konfrontiert die Frage nach der Bosheit, ja der Bøsartigkeit in jedem Einzelnen sehr direkt in „Der Archipel Gulag„. Seine Beschreibungen wie Menschen die deine Nachbarn sein kønnten, ja die ganz konkret die Ehemaenner oder -frauen bzw. die Muetter und Vaeter von anderen Menschen sind (!), zu Schlaechtern werden. Dies ist besonders eindruecklich im ersten Buch, in denen er detailliert auf die Vorgaenge in den Folterkellern der Lubyanka, dem Sitz des NKWD (was spaeter der KGB wurde). Natuerlich gingen laengst nicht alle Opfer des Gulag Systems durch die Lubyanka aber der Terror, im konkreten durch das Herausfoltern von Gestaendnissen, ist ein integraler Bestandteil derartiger Systeme. Und eben da es integraler Bestandteil ist, findet such der Terror auch dann wenn man im Lager ist und auch danach. Und Terror ist nicht nur von Seiten der Wachmannschaften oder aehnlichen Personen zu erwarten, sondern auch von Seiten der Mithaeftlinge. Darauf geht er in den darauffolgenden zwei Buechern ein.

Als ich dieses Buecher las konnte ich mir eine Vorstellung vom modus operandi eines totalitaeren Systems machen. Ein Satz, (der oft wiederholt wird in diesen drei Buechern) ist:

Die Strøme muessen flieszen!

Dieser Satz ist mir bis heute im Kopf haengen geblieben. Ist er doch konkreter, bildlicher Ausdruck dessen, was ein totalitaeres System ausmacht. Aber zu dem Zeitpunkt begriff ich das noch nicht. Mir war klar, dass damit die Menschenstrøme ins und innerhalb des Gulagsystems gemeint sind. Aber auf das wirkliche _Verstehen_, dass Terror _DAS_ Merkmal des Totalitarismus ist, musste ich noch ca. 10 Jahre warten … bis Hannah Arendt es mir sagte.

An dieser Stelle greifen die Buecher auch ineinander mit anderen wichtige Zeugnissen aus dieser Zeit. Herausheben møchte ich an dieser Stelle die Doktorarbeit von Paul Martin Neurath: „Die Gesellschaft des Terrors — Innenansichten der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald“ (ich habe diese Arbeit in der 2004 bei Suhrkamp erschienen Ausgabe). Darin schildert (und teilweise analysiert) der Autor detailliert seine eigenen Erlebnisse in besagten Konzentrationslagern. Da dies hier aber nicht das Thema sein soll, møchte ich nur darauf hinweisen, dass dies nicht nur die Verbindung zwischen zwei totalitaeren Systemen ist, die auch heute noch als was vøllig unterschiedliches angesehen werden. Vielmehr ist dies die Essenz die darlegt, dass es sich beim Terrorsystem der Nazis und beim Terrorsystem der Bolschewiken im Grunde um ein und die selbe Sache handelt.

Es sei noch gesagt, dass Solschenizyn keine Erklaerung fuer den Terror des Systems gibt. Es ist halt so — die Strøme muessen flieszen. Ich denke dies liegt vor allem daran, dass dies nicht die Aufgabe dieser Buecher sein soll. Diese dienen vor allem der Dokumentation (und in groszen Teilen auch der Einordnung) der Greueltaten.

Wieauchimmer, das Lesen dieses Werkes liesz mich fuer Jahre, ganz konkret bis vor Kurzem, mit einer frostigen Furcht in meinen Knochen zurueck. Dies liegt daran, dass ich mir nach der Lektuere meine Frage selber und ganz konkret beantwortet konnte: ich kønnte und wuerde vermutlich sehr bøse sein :( . Das belastete mich und somit liesz mir das Thema (trotz der Beantwortung der Frage) auch weiterhin keine Ruhe. Ich versuchte eine neue Antwort zu finden, eine Antwort darauf, wie ich nicht meiner eigenen Bosheit verfalle. Erst Hannah Arendt zeigte mir einen Ausweg aus dem Dilemma oder vielmehr, dass ich von Anfang an auf dem richtigen Weg war (und bin) um diese in jedem Menschen innewohnende Situation ueberhaupt nicht erst zu einem (persønlichen) Dilemma zu machen.

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